Es mag ein wenig merkwürdig erscheinen, dass ich mir gleich drei Begriffe als Gegenstand ausführlicherer Betrachtungen ausgesucht habe grundsätzlich widme ich mich sonst immer nur einem spezieller.
Nun sind mir aber am vergangenen Wochenende zwei der genannten Begriffe, nämlich Ehe und Anmut, und Ansichten anderer Menschen dazu etwas unmittelbarer begegnet. Und sie verbinden sich in meinem Denken gleichsam folgerichtig mit dem Begriff der Moral. Ich vermag sie offensichtlich nicht getrennt von diesem Begriff, der mich freilich als solcher noch viel weitergehender beschäftigt, als ich mich ihm hier heute widmen kann und werde, zu denken. Ähnlich geht es mir im Mindesten auch mit dem Ehebegriff.
Meine Gedanken hier sind also eher ein Zwischenstand meiner Überlegungen oder auch eine aktuelle Bestandsaufnahme derselben
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Zur Moral habe ich schon einmal ein paar Gedanken geschrieben (in meinem Blogtagebuch auf der Tagebuchseite -428-), sie lauteten so:
Moral ist, was die Mehrheit der Menschen (in einem bestimmten Kontext) für moralisch (für richtig) hält. So ist es mir während meines ersten Studiums mal erklärt worden. Wenn das stimmt, habe ich Grund, häufig daran zu zweifeln, dass mein Denken und Empfinden dem entspricht, was als Moral gilt.
Denn eine Definition, was moralisch ist und was nicht, gibt es offenkundig nicht. Bei Wikipedia heißt es ganz dem entsprechend unter anderem:
Moral bezeichnet zumeist die faktischen Handlungsmuster, -konventionen, -regeln oder -prinzipien bestimmter Individuen, Gruppen oder Kulturen.
Faktisch heißt aber in erster Linie konkret, tatsächlich, wenn man so will auch jetzt existent und somit, dass die entsprechenden Handlungsmuster, Handlungskonventionen usw. nicht feststehend sind, sondern sich in einem stetigen Wandel befinden, je nachdem, was in dem jeweiligen Kontext für moralisch richtig, für moralisch vertretbar, gehalten wird. Wer würde bestreiten, dass vieles an Ansichten, Handlungen, Beziehungen, was vor 50 oder 100 Jahren (noch) als verwerflich, bedenklich, moralisch zweifelhaft bzw. unanständig galt, heute als Normalität betrachtet wird.
Wer in solchen Kontexten unter anderem rückblickend auf Moral verweist, gilt schnell zumindest als Gestriger oder Sonderling. Manchmal habe ich das für mich schon so wahrgenommen.
Als ich am Sonntag ein Interview mit Rosa von Praunheim auf dem Deutschlandfunk hörte, da ging es darum vor allem um die Themen Ehe und deren Rolle in der heutigen Zeit, um die Diskussionen um die gleichgeschlechtliche Ehen und um sexuelle Freiheit. Besonders interessant fand ich einen Gedanken von Praunheims, der mir, allerdings nicht so auf den Punkt fokussiert, während der letzten Wochen angesichts der kontroversen Debatten um die Einführung einer rechtlich heterosexuellen Ehen völlig gleichgestellten Ehe zwischen Homosexuellen, selbst schon durch den Kopf gegangen war.
Ist es nicht so, dass die klassische Ehe vielen heute als längst überkommenes Relikt der Vergangenheit gilt?
Ehe als Institution, als sozial verbindliche Lebensform unter anderem bestimmt durch gleiche oder ähnliche materielle Interessen der in ihr miteinander Verbundenen, auch als Institution mit schlussendlich vorgegebenen Erwartungen und Möglichkeiten aber auch Grenzen der individuellen Entfaltung?!
Ehe, nicht zuletzt auch als moralische Instanz und Ausdruck eines Moralverständnisses von dem heute faktische Handlungsmuster offenkundig immer stärker und zahlreicher abweichen. Eines Moralverständnisses, dem vor allem etliche deutsch-ausländische Partnerschaften, wenn sie denn in Deutschland gelebt werden wollen, gesetzlich normiert allerdings nach wie vor zu entsprechen haben. Ich weiß sehr authentisch worüber ich da rede!
Das deutsche Ausländerrecht kennt grundsätzlich keine wilden Ehen.
Vielen gilt die klassische Ehe heutzutage als geradezu reaktionär. Ist es angesichts dessen nicht ein bisschen paradox, dass doch unübersehbar gerade viele jener Menschen, die die klassische Ehe als etwas Überkommenes bzw. Altmodisches zunehmend oder bereits generell ablehnen, mit die engagiertesten Verfechter der Einführung einer rechtlich voll gleichgestellten Homoehe auftreten?
Von Praunheim scheint das ähnlich zu sehen bzw. zu hinterfragen, denn in dem angesprochenen Interview brachte er zum Ausdruck, dass die homosexuelle Bewegung genau genommen mehr tun müsse, anstatt für eine „Ehe für alle“ zu kämpfen. Die sei nämlich „fürchterlich reaktionär.“ Homosexuelle würden zudem die Verpflichtungen, die sie mit einem solchen Bündnis eingehen, nicht berücksichtigen.
Ja eine Ehe ist eine Kompromissgemeinschaft, auch eine Zweck- und in gewisser Weise, wenn Kinder da sind wie von Praunheim meinte, auch eine Zwangsgemeinschaft. Sie steht einer uneingeschränkten, ungehemmten Individualisierung entgegen. Schon Oscar Wilde ließ einen der Protagonisten seines Romans Das Bildnis des Dorian Gray sagen:
Der wichtigste Gegengrund gegen die Ehe ist, dass sie einen selbstlos macht. Und selbstlose Menschen sind farblos. Es fehlt ihnen an Individualität.
Ob von Praunheim nicht zuletzt deshalb in dem Interview so stark für mehr sexuelle Freiheit plädierte?
Beim Hören dieser Forderung machte sich in mir, wie immer, wenn von mehr sexueller Freiheit die Rede ist, Unbehagen breit. Denn für mich ist diese Forderung zweischneidig und sie wird immer zweischneidiger, je mehr unsere Gesellschaft, unser Leben sexualisiert wird.
Wenn mit sexueller Freiheit gemeint ist, dass jeder Mensch, seiner sexuellen Neigung entsprechend, in uneingeschränkter Würde, rechtlich allen anderen Menschen mit gleicher, wie andersartiger sexueller Neigung vollumfänglich gleichgestellt leben können soll, wenn es sich um keine strafzubewehrende Neigung (etwa Pädophilie) handelt und er seine Neigung Dritten nicht aufzwingt oder sie von seiner Neigung ausgehend belästigt oder gar nötigt, dieser entsprechend zu handeln oder sie mit ihm zu teilen, dann unterschreibe ich die Forderung nach sexueller Freiheit.
Alles was dieser Begriff, diese Forderung mehr implizieren könnte bzw. mitunter bereits impliziert, nicht zuletzt einem (noch) Mehr an Individualität das Wort redend, lehne ich sehr kategorisch ab. Eine ungeregelte sexuelle Freiheit lehne ich ab. Weil es absolute Freiheit, insbesondere in gesellschaftlichem aber auch im privaten Kontext nicht geben kann und geben darf, auch absolute sexuelle Freiheit oder absolute Individualität nicht. Solange mehr als ein Mensch auf der Erde lebt, solange nicht nur ein Mensch mit sich selbst Sex hat, ist das so und solange das so ist, hat das zu gelten. Unumgänglich!
Was bislang gelegentlich im Sinne von mehr sexueller Freiheit bereits als Moral gilt, als faktisches Handlungsmuster vertreten und gelebt wird, geht da nach meiner Auffassung bereits deutlich zu weit. Ich denke insoweit nicht nur an die Werbeindustrie
Da war und ist nun aber auch noch das Wort, der Begriff der Anmut. Auch er begegnete mir am Wochenende wieder einmal. Dabei ist mir aufgefallen, dass er nur noch selten verwendet wird. Dabei teile ich ganz und gar die Ansicht der Schriftstellerin Eva Demski, die in der Sendung Denk ich an Deutschland im Deutschlandfunk am vergangenen Sonntagmorgen das Wort Anmut als eines ihrer Lieblingswörter der deutschen Sprache bezeichnete.
So wie sie den Begriff Anmut definierte, illustrierte, ist er nach meinem Empfinden letztlich im ureigensten Sinne ein wundervolles Korrektiv zu so vielen Dingen, die heutzutage Handlungs- bzw. Wahrnehmungskonventionen und somit gelebte Moral sind.
Sie sagte unter anderem, dass Anmut etwas bezeichne, was leise ist, was man meist erst auf den dritten Blick erkennt und überhaupt keine Konjunktur hat, weil Anmut mit Karriere oder Event oder sichtbar werden überhaupt nichts zu tun habe, eher das Gegenteil. Deshalb sei anmutig oder Anmut so eine wunderbare sprachliche Pastellfarbe und auch eine Pastelleigenschaft.
Sie hat das zauberhaft, und unglaublich zutreffend, beschrieben finde ich.
Das Maß der wahren, der tatsächlichen Schönheit eines Menschen, liegt im Maß seiner Anmut! Das trifft es. Schönheit macht sich nicht primär an Äußerlichkeiten, an Karriere, an laut Sein, dabei Sein, fest.
Wenn das vor allem mehr junge Menschen wirklich zu erkennen vermöchten und die Kraft hätten, sich entsprechend zu sehen, zu mögen und zu leben, gäbe es weniger unglücklich oder zu früh endendende Lebensläufe. Aber es ist nicht leicht zu erkennen, und es braucht Courage dann entsprechend zu handeln. Und es wird, so nehme ich es wahr, auch nicht leichter, vor allem jungen Menschen auch nicht leichter gemacht.
Denn Anmut und was heute vielfach als gängiges Handlungsmuster, Handlungsprinzip, Handlungskonvention, also als gängige Moral, gilt, ist bisweilen sehr weit voneinander entfernt.
Und mein Eindruck ist, dass der Abstand nicht kleiner wird
Aber ich glaube, ich weiß jetzt, dass mein Denken und Empfinden und daraus folgend wohl auch mein Tun, tatsächlich oft nicht dem entspricht, was als Moral gilt. Und ich weiß nun auch, warum das so ist. Die Zweifel, die ich insoweit vor ein paar Wochen noch hatte, sind besiegt.
Im Übrigen wünsche ich mir, dass viel mehr Menschen, junge vor allem, aber auch die älteren, und ganz besonders wieder die „ganz Alten“, sich ihrer Anmut bewusster zu werden vermögen!