Tagebuchseite -925-

Eine „Kleinigkeit“ aus dem Leben einer schwarzen Frau im weißen Westen

Sie muss hinten eingestiegen sein, vielleicht hat sie einen Kinderwagen und darin ihr Baby dabei. Ich werde sie erst gewahr, als sie sich vorsichtig durch den Gang nach vorn schiebt, zum Busfahrer hin.

Sie ist eine schmale junge Frau in einem Kleid von einem ganz besonders schönen, satt strahlenden Blau. Darüber trägt sie eine schwarze Jacke mit einer Kapuze, die sie über den Kopf gezogen hat. Ein paar schwarze Kräusellocken lugen darunter hervor. Von dem Gesicht der Frau kann ich zunächst nichts erkennen, auch, weil sie, wie alle im Bus, eine Mund-Nasenmaske trägt.

Vorn angekommen streckt die junge Frau dem Busfahrer ihre linke Hand entgegen, mit der sie einen Geldschein hält. Ich erkenne, dass die Hand von sehr dunkler Hautfarbe ist und höre eine schüchtern klingende Stimme sagen: „Ticket bitte, eine please.“

Der Fahrer fixiert mit schmaler werdenden Augen den Geldschein in der Hand der Frau und raunzt bärbeißig: „Kleingeld!“ Sie reagiert zunächst nicht, um dann den Schein ein wenig sichtbarer und näher in Richtung Zahlbox zu halten. Die Augen des Busfahrers werden zu Schlitzen und lauter und offenkundig noch genervter als vorher wiederholt er, bewusst gedehnt sprechend, als meinte er, eine Schwerhörige vor sich zu haben: „Kleiiingeeeldtt!!!“

Als er die Türen schließt und eine Bewegung macht, die ausschaut, als ob er losfahren will, ohne die Frau weiter zu beachten, sehe ich kurz das dunkelhäutige Gesicht und die schwarzen weit geöffneten Augen der Frau, die irritiert schauen. Ich höre ihre Stimme wieder, kaum noch vernehmbar: „Bitte Ticket, bitte für ein Reise!“

In diesem Augenblick dreht sich der Fahrer zu ihr um, sein Blick ist nun offen verächtlich, reißt ihr den Geldschein aus der Hand und knattert vor sich hin: „Ich bin doch hier kein Wechselautomat!“ Er schmeißt ihr ein paar Geldscheine auf die Zahlbox und lässt Münzen in die Schale daneben fallen, ohne die Frau noch eines Blickes zu würdigen und fährt an.

Die junge Frau sammelt mühsam Scheine und Kleingeld ein und geht langsam zurück in den hinteren Teil des Busses.

*

Diese Szene hat sich so, vor einigen Tagen schon, vor meinen eigenen Augen abgespielt. Sie hat mich seither immer wieder beschäftigt, mich innerlich nicht wieder losgelassen, obgleich es keineswegs das erste Mal gewesen ist, dass ich Ähnliches miterlebt habe.

Ich weiß, dass ein solches Geschehen, seit sehr langer Zeit schon, in diesem Land nichts „Besonderes“ mehr ist. Es passiert täglich, stündlich, so oder ähnlich in Köln oder Dresden, in Berlin oder Mannheim, in Bielefeld oder eben hier in meiner Stadt im Nordosten.

Mir ist im Nachhinein viel durch den Kopf gegangen: Der Busfahrer war, wenn mich mein Eindruck nicht getrogen hat, ein grundsätzlich eher missmutiger Zeitgenosse. Der Bock, auf dem er sitzt, mag ihm wie sein Thron vorkommen. Da ist er der Chef, da ist er mächtig, von dort aus weiß er alles, vor allem weiß er alles besser.

Er würde nie alles zugeben, was er „weiß“, das würde an seiner blasierten Eitelkeit kratzen. Und so würde er niemals gestehen, dass er es besonders genossen hat, so mit der jungen schwarzen Frau umzuspringen, wie er es getan hat, dass er wusste, dass sie ihm niemals „ebenbürtig“ sein konnte. Er würde niemals einräumen, dass es ihm ein Leichtes war und womöglich eine Freude, mit ihr so umzugehen, weil sie eine Frau war.  Nie würde er auch zugeben, dass er sich sicher war, dass sie ihm nichts erwidern, sich nicht erklären konnte, weil sie seine Muttersprache nur wenig beherrschte. Und schon gar nicht würde er gewähren, dass auch nur die Vermutung geäußert würde, er könne sich rassistisch verhalten haben.

Genau das aber hat er ALLES getan. Ein frauenverachtender, rassistischer, selbstgerechter, weißer Macho!

Nein, und deshalb ist es für mich nicht nur nicht wichtig, sondern völlig unnötig, auch nur darüber nachzusinnen, ob die junge Frau nicht hätte wirklich einen kleineren Geldschein bereithalten können.

Sie war höflich. Sie hat sich versucht, mit ihren Möglichkeiten auszudrücken. Sie wollte ehrlich ihren Fahrpreis bezahlen. Sie wäre bereit gewesen, zuzuhören, wenn es nur ansatzweise das Bemühen gegeben hätte, sich mit ihr angemessen auszutauschen. Sie hätte versucht zu verstehen, was sie so womöglich gar nicht verstehen konnte.

Sie hat sich nicht dafür zu rechtfertigen, weshalb sie nur so einen verhältnismäßig großen Geldschein dabei hatte. Dafür kann es tausende sehr triftige Gründe geben, die, ebenso wie auch mögliche, weniger triftige, niemanden etwas angehen.

*

Was sind wir für eine Welt, was sind wir für Menschen, dass wir so einen Umgang miteinander haben?  Dass sich Weiß über Schwarz, Mann über Frau, Reich über Arm stellt! Und dass sich AUSLEBT, immer wieder, immer mehr!

Wir „brauchen“ Menschen, auf die wir herniederschauen, die wir als schwächer, als wir selbst es sind, wahrnehmen, die wir treten, beleidigen, diskriminieren können. Mit Sicherung des eigenen Überlebens hat das längst nichts mehr zu tun, das hatte es nie und das wird es niemals haben.

Wir brauchen Feindbilder, „Schuldige“, die wir bloßstellen können oder halt ertrinken lassen, ohne dass uns das betrifft.

Wir sind der Westen, wir sind die Weißen, wir sind die Männer dieser Welt.

Ich könnte mich übergeben und ich bin voller Scham.

Jeden Tag, jede Stunde!

***

Ganz neu entdeckt: Eine australisch-us-amerikanische Co-Produktion, die ich sehr gern teilen mag:

Fiora and Robot Koch – „Let it go by“

4 Gedanken zu “Tagebuchseite -925-

  1. Hm … bist du sicher, dass der Busfahrer sich wegen der Hautfarbe der Frau so verhalten hat? Ich habe sowas auch schon ein paar Mal erlebt (nicht wegen des Bezahlens, aber z. B. weil ich nicht wusste, dass man nicht mehr vorne einsteigen darf) und wurde angeraunzt. Natürlich fühlt man sich da erstmal geschockt angesichts dieser Unfreundlichkeit. (Mir hat übrigens auch niemand zur Seite gestanden.) Aber es gibt eben einfach unfreundliche Zeitgenossen. Vielleicht war er aber auch gestresst und es wollte an diesem Tag schon zum 10. Mal jemand mit einem Schein bezahlen. Ich finde, man sollte da beide Seiten sehen.

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    • Es mag sein, und das hatte ich in meinem Text ja auch angedeutet, dass dieser Busfahrer grundsätzlich eher ein unzufriedener und brummiger Mensch ist. – Auch ich habe auch schon erlebt, wie Busfahrer weiße Menschen wegen nicht vorhandenem Kleingeld angeblafft haben.

      Dies hier mit der schwarzen Frau war aber etwas anderes. Er hat sie bloßgestellt, sie einfach stehen lassen, gar nicht mehr mit ihr geredet, „voraussetzend“, dass sie ihn sowieso nicht verstehen würde. Er hat bemerken müssen, dass in ihren Worten eine Bitte steckte. Und dann, wie er „Kleeiingeeeld!“ geschrien und auf so dummdreiste Weise betont hat, als wenn ihm da eine Person die schwerhörig wäre (was sein Verhalten übrigens auch in keiner Weise gerechtfertigt hätte) gegenüberstünde.

      Möglicherweise hat er sich nicht nur wegen der schwarzen Hautfarbe so verhalten, aber in jedem Fall auch deswegen und eben, für mich wahrnehmbar, auch auf besondere Weise.

      Dass er besonders gestresst war, dafür gab es zumindest keine offensichtlichen Indizien. Aber selbst, wenn er keinen guten Tag hatte, kann und mag ich sein Verhalten nicht gelten lassen.

      Ich finde, es geschieht viel zu viel Übergriffiges und Diskriminierendes, über das hinweggesehen, das nicht mehr bemerkt wird, das (aus teils sehr unterschiedlichen Gründen) nicht angesprochen wird. Auch wie Du behandelt worden bist, gehört übrigens für mich in diese Kategorie.

      Was das Verhalten gegenüber schwarzen Menschen angeht, bin ich vielleicht besonders sensibel, weil ich über sehr viele Jahre ganz unmittelbar mit Menschen aus vielen Ländern der Welt zu tun hatte, darunter auch vielen Menschen mit schwarzer Hautfarbe. Ich glaube daher, ein bisschen zu wissen, was so ein Auftreten, wie das dieses Busfahrers mit diesen Menschen in besonderer Weise macht.

      Liebe Grüße an Dich! 🌷

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